oder Wem sprechen wir eigentlich die Kompetenz ab?
«Schuster, bleib bei deinen Leisten» – das ist so ein Spruch, den man gern hervorholt, wenn jemand etwas sagt oder tut, das nicht dem eigenen Bild dieser Person entspricht. Gemeint ist: «Das kannst du nicht. Das bist du nicht. Das solltest du lieber lassen.» Oft geschieht das unbewusst – mit dem Blick auf den Rang, den wir jemandem zuschreiben oder eben absprechen.
Woher stammt dieses Verhalten?
Rangdynamiken sind tief verwoben mit unserem Selbstverständnis, unserem sozialen Verhalten und mit Machtstrukturen, die oft unbewusst ablaufen. Menschen sprechen einander (und sich selbst) ständig Ränge zu – oder eben ab. Das beginnt schon früh: in der Familie, in der Schule, im Beruf. Besonders problematisch wird es, wenn Menschen systematisch abgewertet werden – zum Beispiel wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihres Bildungshintergrunds. Dann wird aus einer persönlichen Unsicherheit schnell ein strukturelles Problem.
Oft geschieht das nicht einmal böswillig. Aber der Effekt ist real:
Wer nicht gesehen wird, beginnt, sich selbst zu übersehen.
Wenn wir jemandem die Kompetenz absprechen
Eine Frau wird vom Kollegen nicht für fähig gehalten, ein technisches Problem zu lösen. Eine Lernende mit Migrationshintergrund wird im Team nicht richtig ernst genommen. Oder eine Führungskraft glaubt, besser zu wissen, wie ein Detail funktioniert, als die Fachperson, die täglich damit arbeitet.
Solche Situationen sind weit verbreitet – und aus psychologischer Sicht passiert hier etwas Zentrales: Der Rang des Gegenübers wird infrage gestellt oder gar ignoriert.
Wichtig: Es geht hier nicht um einen hierarchischen Rang (z. B. «Chef» oder «Teammitglied»), sondern um etwas viel Feineres – und doch ebenso wirkmächtiges.
Rang ist nicht gleich Rang – eine differenzierte Betrachtung
Sozialer Rang
Der soziale Rang basiert auf Faktoren wie Bildung, Herkunft, Nationalität, Geschlecht, Religion, Beruf, Ansehen, physischer Erscheinung oder materieller Sicherheit. Es ist die sichtbare Ebene – das, was wir auf den ersten Blick erkennen (oder meinen, zu erkennen). Wer sich im «richtigen» Land bewegt, fliessend die Sprache spricht, gebildet ist, gut verdient und den «richtigen» Pass hat, geniesst meist hohen sozialen Rang.
Kontextueller Rang
Der soziale Rang kann jedoch nicht überall «mitgenommen» werden. Er ist kontextabhängig. Ein Professor ist beim Einkaufen gleichgestellt mit allen anderen Kundinnen und Kunden. Eine Person, die in ihrem Herkunftsland hohe Anerkennung genoss, verliert diesen Rang, wenn sie sich in einem neuen Land sprachlich und kulturell nicht mehr zurechtfindet.
Psychologischer Rang
Der psychologische Rang beschreibt die persönliche Reife, den Umgang mit Emotionen, Konflikten, Reflexion und Selbstbewusstsein. Menschen mit hohem psychologischem Rang müssen sich nicht beweisen – sie ruhen in sich, strahlen Sicherheit aus und geben anderen Raum, sich zu entfalten.
Spiritueller Rang
Dieser Rang basiert auf innerer Erfahrung – etwa durch spirituelle Praxis, Lebenskrisen, Achtsamkeit, Verbindung zum Göttlichen. Spiritueller Rang zeigt sich in innerem Frieden, Mitgefühl, Demut oder Liebe. Auch er wächst oft durch schwierige Lebenserfahrungen.
Demokratischer oder Gerechtigkeitsrang
Menschen, die selbst Diskriminierung oder Ungleichheit erlebt haben, entwickeln oft einen starken inneren Antrieb, sich für andere oder etwas einzusetzen. Sie tragen den Mut, sich öffentlich sichtbar zu machen, für Gerechtigkeit einzustehen, soziale Wandlung anzustossen. Diese Energie ist unbequem – aber essenziell für den gesellschaftlichen Wandel.
Wo positionierst du dich – und wem sprichst du den Rang ab?
Wer anderen keine Stimme zugesteht, spricht ihnen nicht nur Wissen oder Beitrag ab – sondern auch ihren Rang als Mensch. Das kann still geschehen, mit einem Lächeln, das nicht ernst nimmt. Oder lauter, mit Sätzen wie: «Dafür bist du nicht qualifiziert.»
Doch was berechtigt uns eigentlich dazu?
Fragen, die helfen können, das eigene Verhalten zu reflektieren:
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Wo habe ich selbst sozialen, kontextuellen oder psychologischen Rang?
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Wo nutze ich ihn – vielleicht unbewusst – um über andere zu urteilen?
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Wo reagiere ich empfindlich, wenn jemand «mitredet», der meiner Meinung nach nicht «zuständig» ist?
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Und: Wo spreche ich jemandem seine oder ihre Fachkompetenz ab?
💡 Ein Tipp für Menschen, denen immer wieder ihr Rang abgesprochen wird:
Erkenne und stärke deinen psychologischen Rang.
Wenn dir Kompetenz abgesprochen wird, kann das tief verunsichern. Aber:
Du musst nicht darauf warten, dass andere deinen Wert sehen. Du kannst beginnen, ihn selbst zu erkennen – und aus dieser inneren Klarheit zu handeln.
Das bedeutet konkret:
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Reflektiere, was du weisst, kannst, erlebt hast. Deine Erfahrung zählt – auch wenn sie nicht in Diplomen steht.
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Suche dir unterstützende Räume, in denen du ernst genommen wirst – Menschen, die dich stärken, nicht klein halten.
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Sprich aus, was du siehst. Selbst wenn deine Stimme zittert. Gerade Menschen mit hohem demokratischen oder psychologischen Rang haben oft viel zu sagen – sie sind nur zu lange überhört worden.
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Unterscheide: Ist das Gegenüber wirklich kompetenter? Oder einfach lauter?
Du musst dich nicht beweisen, um dazuzugehören.
Aber du darfst dich positionieren – aus deiner inneren Kraft heraus. Und genau das ist psychologischer Rang: eine Stärke, die nicht laut sein muss, aber tief wirkt.
Wir können andere nicht zwingen, uns Respekt entgegenzubringen oder unseren Rang anzuerkennen. Aber wir können uns selbst erlauben, unseren eigenen Wert zu sehen – und das verändert alles:
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unsere Ausstrahlung,
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unser Auftreten,
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unsere Kommunikation,
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und letztlich auch, wie andere auf uns reagieren.
Wer innerlich klar ist, wirkt oft leiser, aber nicht schwächer – sondern unerschütterlicher.
Menschen mit psychologischem Rang brauchen keine laute Bühne – sie schaffen Räume, in denen andere aufhorchen.
➡️ Indem wir uns verändern, verändert sich das System um uns herum.
Ich weiss, wie es sich anfühlt, wenn man übergangen wird. Wenn man spürt: Ich hätte etwas zu sagen, aber es kommt nicht an – oder wird gar nicht erst gehört.
Doch ich habe auch erlebt, was passiert, wenn man beginnt, sich selbst den eigenen Rang zuzugestehen. Nicht laut, nicht trotzig – sondern innerlich klar.
Wir können andere nicht zwingen, uns Raum zu geben. Aber wir können aufhören, uns selbst zurückzunehmen. Und damit beginnt oft eine stille, aber kraftvolle Veränderung – im Innern und im Aussen.
Meine Einladung an dich: Erkenne deinen eigenen Rang an.
Wünschst du dir dabei Unterstützung – ich begleite dich gerne.